Ich liebe Handball

Die Zeit hat eine großartige Kolumne von Sophie Passmann veröffentlicht, in der sie über unsere Sportart, uns Handballer und die Handball-Weltmeisterschaft spricht.


Quelle und Bild: Die Zeit, 02. Januar 2019 

Ich brauche eine neue Stammkneipe. Die, die ich jetzt habe, ist eigentlich gut, der Tresen klebt angenehm, und die anderen Gäste wollen sich nicht unterhalten, aber es gibt da etwas, worüber ich nicht hinwegsehen kann: Der Wirt weigert sich, die kommenden Spiele der Handball-WM zu zeigen. Das trifft mich vor allem deshalb, weil genau diese Kneipe gleichzeitig jedes noch so belanglose Aufwärmen jeder drittklassigen Fußballmannschaft auf Großleinwand zeigt. Er könne mit Handball nichts anfangen, sagte er, und ich verstehe da leider keinen Spaß, ganz im Gegenteil, ich nehme diesen Sport sehr persönlich, mir sind Menschen suspekt, die mit Handball nichts anfangen können. Handball ist der wichtigste Sport der Welt, das wissen alle, die mal Handball gespielt haben.

Am Anfang meiner Pubertät suchte ich ein cooles Hobby und ging nach dem Ausschlussverfahren vor. Die Pferdemädchen waren langweilig, die Fußballjungs waren Idioten, und Tennis war aus Reputationsgründen ausgeschlossen, nur Schnösel spielten Tennis. Übrig blieb auf dem Dorf noch Handball, und ich war mir sicher, dass Werfen und Fangen nicht so schwierig sein könnte, also betrat ich an irgendeinem Tag im Sommer das erste Mal die Turnhalle meines zukünftigen Sportvereins. Einer der Trainer bewarf mich zur Begrüßung mit einem Ball, ich fing nicht, durfte trotzdem bleiben, und ich blieb für viele Jahre, so richtig ging ich erst, als ich nach dem Abitur wegziehen musste, und es gibt Tage, da glaube ich, dass ich immer noch nicht so richtig gegangen bin.

Einige der wichtigsten Lektionen meines Lebens habe ich beim Handball gelernt. Wie man Bälle mit nur einer Hand fängt, zum Beispiel. Dass Kniestrümpfe und kurze Hose sehr wohl cool aussehen können und dass die Fußgelenkbänder ausleiern, wenn man sie zu oft überdehnt. Ich lernte, dass es gute und schlechte Turnhallen gibt, die schlechten sind die, in denen der Hausmeister Harzverbot ausgerufen hat, weil die Paste, die Handballer auf ihre Bälle schmieren, damit sie die dann auch mit einer Hand fangen können, die Böden versaut. In den guten Turnhallen klebt alles. Genau wie in guten Kneipen.

Handball ist für mich bis heute ein Frühwarnsystem, wer mal Handball gespielt hat, ist mir nahezu immer sympathisch. Das liegt vielleicht daran, dass wir alle die gleiche Jugend hatten, wir verbrachten unsere Abende schwitzend und blutend in den Turnhallen der Republik, verloren die erste Hautschicht unserer Knie an die Böden vorm Tor, füllten die Tage zwischen den Trainings mit Eisbeuteln und lagen sonntagabends mit dem, was nach dem letzten Auswärtsspiel vom eigenen Körper übrig geblieben war, erschöpft auf der Couch. Humpeln ist für Handballer ein Lebensgefühl.

Das Schönste aber ist, dass Handball charakterstark macht. Das sehen die Regeln so vor, denn es gibt auf dem Feld in keiner Sekunde auch nur einen unwichtigen Spieler. Aus jeder Position lassen sich Tore machen, damit sind alle auf dem Feld erst mal gleich gefährlich und gleich wichtig. Handball ist maximalbrutale Direktdemokratie, fordert dafür aber von den Schwachen Fleiß und von den Starken Bescheidenheit. Das erhöht den Druck und das Tempo und sorgt dafür, dass in einer Minute Handball mehr Kluges passiert als an einem ganzen Spieltag der Fußballbundesliga.

Das, was Handball einem beibringen kann, ist also heute so wichtig wie nie. Nicht unbedingt die Sache mit den Kniestrümpfen, aber die Einsicht, dass jeder in jeder Sekunde unerlässlich für das Funktionieren des großen Ganzen ist. No man is an island, keiner wirft Tore allein. Vielleicht begreift das auch noch der Wirt meiner ehemaligen Stammkneipe. Die nächste WM ist 2021. Bis dahin trinke ich halt zu Hause.

Quelle
Dieser Artikel stammt aus der ZEIT Nr. 02/2019. Hier können Sie die gesamte Ausgabe lesen.
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